Veranstaltung: | AK EMD Verteilnetzreform |
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Antragsteller*in: | AK Energiemarktdesign (dort beschlossen am: 25.05.2023) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 12.06.2023, 14:52 |
A1: Prinzipien und dringende Empfehlungen für die Weiterentwicklung unserer Verteilnetzinfrastruktur und –regulierung
Antragstext
Prinzipien
1. Geschwindigkeit
Die langsame Reaktionsgeschwindigkeit auf VN-Ebene ist eine absolute Bremse für
den Erneuerbaren-Ausbau und die Sektorkopplung und damit für die Erreichung der
Klimaziele. Wir brauchen mehr Tempo bei:
Ausbau
Digitalisierung
Anpassung / Neugestaltung der regulatorischen Bedingungen
Wir fordern daher:
Sofortmaßnahmen mit 4-5 Punkten noch 2023 umsetzen
Effektivität vor Effizienz, Nichtstun löst kein Problem, Raum für Experimente
Modelle, die die Flexibilität erhöhen, auch schnell testweise ermöglichen (z.B.
Batterien als Netz-Booster, Netz-Ampelmodell ausprobieren)
Vorausschauende Netzplanung ermöglichen und als Strategie umsetzen – ARegV soll
nicht nur Ausbau als Antwort auf Anschlussbegehren erlauben sondern den Ausbau
auf ein Zielnetz anhand von zu bestimmenden Parametern
2. Subsidiarität
Was auf niedrigerer Ebene gelöst werden kann, sollte auf niedrigerer Ebene
gelöst werden. Das reduziert den Übertragungsbedarf und hilft, lokale
Bürger*innen-Beteiligung zu stärken. Im digitalen Zeitalter kann jede Last und
Erzeugungskapazität ihren Beitrag leisten.
Wir fordern, dass die VNBs Verantwortung für Monitoring und Steuerung ihres
Netzes bekommen sollen. Der VNB nimmt eine aktive Rolle ein zur Nutzung
Flexibilitäten und führt Netzsicherungsmaßnahmen (inkl. Perspektivische
Inselfähigkeiten und Schwarzstart)
Notwendig ist ein Mentalitätswandel: weg von Administrativen zum Konstruktiven
Dafür braucht es Capacity Building: Entsprechende personelle und finanzielle
Ressourcen aufbauen
3. Kostenklarheit und Transparenz
Die Kostenklarheit ist derzeit minimal.
Die Anreizregulierung ist undurchsichtig und beschäftigt mehr Buchhalter*innen
(bei den NBs), Anwält*innen und Spruchkammern bei den Regulierungsbehörden als
nötig.
Die EOG-Bescheide der BNetzA und anderer Regulierungsbehörden, die den
Netzentgelten zugrunde liegen, werden grundsätzlich geschwärzt und sind für die
Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar.
Die Einspruchsmöglichkeiten sind limitiert.
Wir schätzen, dass daher die Netzentgelte ca. 30% höher sind als notwendig.
Schon dass diese Aussage nicht widerlegt werden kann, zeigt wie schwach die
Transparenz ist.
Wir fordern ein neues Regelungsparadigma, das auf Transparenz und
Kostenminimierung abstellt. Innovationsfinanzierung kann und soll vom Betrieb
des Bestandsnetzes getrennt werden. Vorausschauender Ausbau soll ausdrücklich
ermöglicht werden.
4. Kostentragung
Aktuell werden alle Kosten des Netzbetriebs und der Netzentwicklung vom
Stromverbraucher*innen getragen. Die Netzentgelte steigen stetig – und abhängig
von der EE-Installation (was besonders ungerecht ist – Gebiete mit hohem EE-
Ausbau zahlen im Bundesvergleich mehr!).
Alternative Kostentragungsmöglichkeiten schaffen fairere Bedingungen.
Aktuell leiden viele EE-Projekte unter langen Vorlaufzeiten bei den VNB (z.B.
zwei Jahre), auch wenn der Netzzugang gesetzlich geregelt ist. Hier sollte
Eigenvornahme erlaubt werden, sowie die (Teil-) Kostentragung des Baus und
Betriebs durch Projektentwicklende. Damit treten Projektentwickelnde als
„Bestellende“ gegenüber dem VNB auf und haben Rechte wie aus einem Kaufvertrag.
Weitere Anreizmodelle sollten in Betracht gezogen werden, z.B.:
gegen den NIMBYismus (Wenn Menschen, die Leitungen verhindern und dadurch
Mehrkosten erzeugen, diese auch tragen müssten, bzw. Menschen, die Leitungen
tolerieren, belohnt werden, etc.)
Flexible Netzentgelte für netzdienliches Verhalten
Netzentgelte sollten nicht ausschließlich proportional zu den verbrauchten kWh
erhoben werden, sondern die Ansprüche an oder Beiträge zur Netz-Stabilität
reflektieren (z.B. Unterbrechbarkeit, Systemdienstleistungen etc.).
5. Ausnutzung erhöhen. Neubau da, wo er am nötigsten ist.
Die Verteilnetze werden aktuell nicht optimal ausgenutzt.
Da rechtliche Verpflichtungen und technische Steuerungselemente fehlen, werden
die Verteilnetze nach und nach ausgebaut, aber nicht an den Notwendigkeiten
orientiert gefahren. Dabei könnte ein höherer Auslastungsgrad durch
Lastverschiebung und Einspeisespitzenglättung Netzausbaunotwendigkeiten
kosteneffizient verringern. Es ist die erklärte Präferenz von NB, „Kupfer zu
vergraben“, statt durch Digitalisierung und Speicherung die
Dimensionierungsprobleme zu entschärfen.
Für die intelligentere Ausnutzung der Netze fehlen neben Regeln, die das oben
genannten Subsidiaritätsprinzip umsetzen, auch noch:
Transparenz darüber, was für die Verbraucher*innen netzdienliches Verhalten
bedeuten würde
Finanzielle Anreize zum netzdienlichen Verhalten auf Verbraucher*innenseite
(ggf. neben den Netzentgelten auch durch Strompreise, innovative
Geschäftsmodelle und Möglichkeiten zur Vermarktung von Flexibilität)
Intelligente Mess- und Steuersysteme.
Datenschutzprobleme und Eingriffe in die Privatsphäre können dabei umgangen
werden, wenn kein Eingriff hinter den Zählpunkt erlaubt wird, es sei denn er ist
vertraglich vereinbart. Die Wirkung des VNB endet grundsätzlich am Zählpunkt.
Verbraucher*innen, die zur Lastverschiebung bereit sind (z.B. mit
Wärmespeichern, Batterien, Autobatterien, etc.), müssen die Verfügbarkeit dem
VNB anzeigen.
6. Sektorintegration
Die Netzregulierung sowie der Netzausbau müssen sektorenübergreifend gedacht
werden.
Denn in vielen Bereichen sind Erzeugung, Übertragung und Verbrauch heute nicht
mehr klar zu trennen.
Wir fordern daher:
Unbundling im dezentralen Bereich überdenken
Ladesäuleninfrastruktur frühzeitig in die Planung integrieren
CO2-freie Quartierslösungen (z.B. mit EE-strombetriebenen Wärmepumpen,
Quartierswärmenetzen und –speichern, Abwärme, Umweltwärme) ermöglichen
Mobilisieren von verschiebbaren Lasten, die oft im Wärme- oder
Elektromobilitätsbereich zu finden sind
Dynamische „Energieüberschusskaskaden“ (verschiedene Stufen der Speicherung von
aktuell überschüssiger Energie in verschieden gearteten und auf verschiedene
Zeithorizonte ausgelegten Speichern)
7. Kostenoptimierung
Die Anreizregulierung ist gescheitert.
Sie ist nicht nur zu komplex, sondern auch überholt. In Bayern z.B. erhalten nur
17 NB einen eigenen Effizienzwert, die übrigen ca. 200 NB bekommen einen
Standardwert zugeordnet. Das geht einfacher!
Wir fordern
Auch die Zielbestimmung muss anders werden. Die novellierte Regulierung muss die
Optimierung nicht auf „Effizienzanreize“ im Sinne der Anreizregulierung
ausrichten, sondern auf die Optimierung der Balance zwischen Ausbau und
Auslastung, Kupfer und Smartness, Innovation und Systemstabilisierung.
Als Parameter für die Entscheidung zwischen verschiedenen Ausbauoptionen sollten
die Kosten eines Ausbaus mit den Kosten der verstärkten Nutzung von
Erneuerbaren, Speichern, und anderen Flexibilitäten verglichen werden.
Wo heute das Verteilnetz im Blindflug fährt, muss morgen jeder Transformator mit
einer gewissen Tiefe und Schärfe an Datenerfassung und Regelbarkeit ausgerüstet
sein.
Dabei müssen jedoch einfach messbare Parameter gefunden werden, die den
Netzzustand ohne großen Messaufwand erfassen, auch wenn sie vielleicht nicht so
exakt sind („Schätzeisen“ statt „Feingoldwaage“).
8. Mehr Kreativität!
Warum nicht auch Wettbewerb zulassen?
Wenn ich zu den gleichen Konditionen wie mein lokaler Netzbetreiber eine Leitung
oder ein Netzelement dem Netz hinzufügen möchte – warum nicht?
Geographische Dimension mitdenken:
Bei Bezug in räumlicher Nähe Erlass von Übertragungsnetzentgelten?
Was ist mit der EV-Flotte an kommerziellen Ladepunkten bzw. auf Firmengeländen?
Flexibilisierbar?
Aus bereits formulierten Positionen folgt:
1.Mieterstrom, Prosumer, Energiegemeinschaften brauchen faire und klare
Netzzugangs- und Netznutzungsbedingungen.
2.Mieterstrom, Eigenverbrauch und Prosumer sind mit die schnellsten Wege die
Erneuerbaren auszubauen. Die Netzfinanzierung muss auch deshalb auf neue Füße
gestellt werden, weil sie sonst den Ausbau verhindert.
3.Integrierte Planung von H2-Netz und Übertragungsnetz
4.Speicher müssen auf der Verteilnetzebene als selbstverständliches Netzelement
mit eingebaut werden. Auch die Netzentgelte für Speicher müssen endlich
speicherfreundlich gestaltet werden – zumindest für die, die von den
Netzbetreiber genutzt oder gesteuert werden.
->Gerade auf der VN Ebene gibt es auch technische Alternativen zu
elektrochemischen Speichern.
->Einsatz von Elektrolyseuren (auch Wärmeaspekte mit bedenken)
Begründung
•Erneuerbare sind dezentral: PV und Wind, aber auch Biomasse und andere Erneuerbare sind an Niederspannung – oder maximal ans Mittelspannungsnetz angeschlossen. Um ihre disruptiv günstige saubere Energie zu nutzen ist die Funktionsfähigkeit der Verteilnetze essentiell.
•Erzeugung und Verbrauch schwanken perspektivisch immer stärker
•Fragen im Umgang mit flexibilisierbaren Lasten und der Digitalisierung hängen auch in verdichteten Gebieten vom Verteilnetz ab.
•Verteilnetze sind bereits jetzt einer der größten Flaschenhälse für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Mit der Zunahme von leistungsstarken Geräten wie Wärmepumpen und Schnellladern wird das noch problematischer.
•Insbesondere Großanlagen / Freiflächenanlagen erfordern einen Verteilnetzausbau in der Fläche, der derzeit von den meisten VNB nur mit großen Verzögerungen bedient werden kann.
•Die Digitalisierung des Verteilnetzes stockt – und zwar in einem Ausmaß, das im internationalen Vergleich beschämend ist
•Wir haben nur wenig Zeit:
•Wir müssen daher das Maximum aus existierender Infrastruktur herausholen. Das ist auch die ressourceneffiziente Lösung.
•Wir müssen uns mit dem Zu/Ausbau der Netze darauf konzentrieren, wo er am nötigsten ist.
•Damit Energiewende gelingt, müssen die günstigen Erneuerbaren auch bei Bürger*innen und Unternehmen ankommen
•Die Netzentgelte steigen heute schneller als die Kosten der EE sinken.
Änderungsanträge
- Ä1 (Kristian Petrick (KV Berlin-Mitte), Eingereicht)
Kommentare
Jan Steppe:
Mir fehlt ein bisschen die Perspektive, dass VNBs natürliche Monopole bewirtschaften und diese Netze Teil der kritischen Infrastruktur darstellen (so hatten wir auch auf ÜNB Ebene im BTW 2021 Programm argumentiert).
Daraus ableitend fehlen mir zwei wichtige Aspekte:
**1. Öffentliche Beteiligung auf Verteilnetzebene:** Eine Ausweitung der öffentlichen Beteiligung oder sogar eine Verstaatlichung der Netze durch kommunale Unternehmen bzw. die Ausweitung derer, die bereits existieren.
Vorteile:
Transparenz: Eine staatliche Beteiligung ermöglicht eine erhöhte Transparenz, da die Öffentlichkeit Einblick in Entscheidungen und Prozesse erhält.
Vermeidung von Interessenkonflikten mit privaten Unternehmen: Durch eine stärkere öffentliche Beteiligung wird sichergestellt, dass der Netzausbau nicht durch Profitmaximierung privater Unternehmen beeinträchtigt wird (Schutz vor "regulatory capture" z.B. bei ARegV).
**2. Forderung der finanziellen Unterstützung für den Netzausbau aus dem Bundeshaushalt:**
Vorteile:
Priorisierung des Netzausbaus: Durch die Bereitstellung von finanziellen Mitteln über Sondervermögen oder ähnliche Mechanismen kann der Netzausbau prioritär behandelt werden, unabhängig von den üblichen Haushaltsbeschränkungen.
Umgehung der Schuldenbremse: Eine solche Finanzierung würde die Auswirkungen der Schuldenbremse umgehen und sicherstellen, dass ausreichende Mittel für den Netzausbau zur Verfügung stehen.
Entlastung der Endkunden: Ähnlich wie bei der Abschaffung der EEG-Umlage könnte eine Finanzierung über den Bundeshaushalt dazu beitragen, die Belastung der Endkunden für den Netzausbau zu verringern.
Vielen Dank für das Papier! Bitte seht meine Kommentare als Ergänzung und Anregungen für zukünftige Debatten (ggf. einen Discourse Thread dazu aufmachen? :) ).
Johannes Eckert:
Webseite: https://solarlago.de/solar-allensbach/
Bericht ZfK: https://www.easysg.de/fileadmin/news/Easy-Smart-Grid-Dynamic-end-customer-tariff.pdf
Bericht Energiewirtschaftliche Tagesfragen: https://futureasapresent.org/Energiewelt_SoLAR_Beitrag_Energiewirtschaftliche_Tagesfragen_2022.pdf
Projektseite: